Christian Hellmich

Ludwig Seyfarth

Dreieck vor Schachbrett – oder umgekehrt?

Zu Christian Hellmichs Malerei

Es gab Zeiten, in denen gemalte Bilder desto mehr galten, je weniger sie darstellten. Besonders galt dies in den strengeren Spielarten der ungegenständlichen Malerei der 1950er und 1960er Jahre in den USA. Die zunehmende Austreibung der räumlichen Tiefe und aller gegenständlichen Verweise sollte auch alle außerbildlichen Assoziationen vermeiden. Doch die Wirklichkeit lässt sich schwer aus der Malerei vertreiben, schon wenn man versucht, die „Road to Flatness“ zu beschreiben. Harold Rosenberg, neben Greenberg ihr wichtigster publizistischer Wegbegleiter, griff denn auch direkt in die Metaphernkiste des Alltags und beschrieb sie so: „Newman schloss die Tür, Rothko zog den Rollladen herunter und Reinhardt löschte das Licht. "
Puristischen Vertreter der Abstraktion dürften solche Vergleiche als unpassende Beschmutzung ästhetischer Reinheit erscheinen sein. Dem tatsächlichen Schaffensprozess kamen sie jedoch näher als alle Deklarationen auf dem Papier, dass Bilder nur sich selbst meinen.
So beruhen die flächigen Formen Ellsworth Kellys auf seiner Begeisterung für die rechteckige Form des Fensters. Er selbst bekundete, dass ihn 1949 die „schmalen hohen Fenster eines Pariser Museums mehr interessierten als die darin ausgestellten Werke.“
Seit einigen Jahren steht die Ungegenständlichkeit wieder hoch im Kurs. Wenn eine „Neue Abstraktion“ propagiert wird, handelt es sich jedoch nicht mehr um ein Absolutum, sondern um eine Option, die man als Maler/-in heute wählen kann, ohne dass damit der fast religiöse Glaube an eine eigene, außerhalb der Realität stehende Bildwirklichkeit verbunden ist. Die „Malerei nach dem Ende der Malerei“ entsteht, nachdem das Licht wieder angestellt, die Rolläden wieder hochgezogen und die Tür wieder geöffnet wurden. 
Offensiv gingen Maler in den 1980er Jahren mit Assoziationen um, als konstruktive Abstraktionen an Rohre oder Stromleitungen erinnerten, wie bei Peter Halley, oder an Hakenkreuze, die der im Titel „zitierte“ Betrachter eines Bildes von Martin Kippenberger beim besten Willen nicht entdecken kann. So absichtlich werden Assoziationen heute meist nicht mehr hervorgekehrt, aber auch nicht zu vermeiden versucht. Dies gilt auch für das malerische Werk von Christian Hellmich, bei dem sich formale Gestaltung und gegenständliche Referenzen meist gegenseitig in der Schwebe halten.
 Dies gilt auch für das früheste in dieser Publikation abgebildete Gemälde, das programmatisch an erster Stelle steht: der „Kleine Bauzaun“ von 2006. Der Bauzaun besteht nicht aus Gittern oder Latten, sondern aus Bildern. Aber dass Leinwände, die auf Keilrahmen aufgezogen sind, wie Holzzäune auch auf Latten basieren, stellt eine sehr direkte Analogie zwischen Bild- und äußerer Welt dar, die Hellmich in fast Magritte’scher Manier zum Ausdruck bringt. 
Viele seiner in den kommenden Jahren entstandenen Bilder zeigen architektonische Elemente: Hochhäuser, Rolltreppen oder eine rote tragende Gitterkonstruktion („Dach“, 2006). Es sind konstruktive Formen, aus denen die Bilder kompositorisch „gebaut“ werden. Es gibt immer wieder Andeutungen räumlicher Tiefe, ohne dass aber ein einheitlicher Tiefenraum erzeugt wird. Die folgenden Bilder werden insgesamt zunehmend flächiger, wobei Andeutungen von Räumlichkeit eher durch den Eindruck hintereinanderliegender Schichten entstehen, die sich mitunter auch zweideutig durchdringen.
 Bei „Pavillion“ (2008) schwebt ein kleines Dreieck vor einer gebogenen Fläche mit schwarzweißem Schachbrettmuster. Aber was heißt „vor“? Ist alles in einer räumlichen Ebene zu „lesen“? Oder zeigt das Dreieck einen Durchblick in eine zweite Ebene oder einen dahinter liegenden Raum? Sehen wir rechts ein Fenster oder einen Spiegel? Das Bild scheint aus mehreren Bildern im Bild zu bestehen. 
Gerahmte Einzelelemente innerhalb des Bildfeldes finden sich in unterschiedlicher Form immer wieder. Bei „Panel“ (2008) nimmt das titelgebende, braungraue und schwarz umrandende Element die Hälfte der Bildfläche ein. Die Form erinnert an eine Sprechblase aus einem Comic, nur dass sie keinen Text enthält.
Bei „Pixy“ (2010) hat das umrahmte Element in der Mitte des Bildes eher die Form einer Kartusche oder Rocaille. So mag man an eine Rokokodekoration denken, nur dass die gestreifte Tapete innerhalb und nicht um das Dekorationselement herum zu sehen ist. Oder handelt es sich um einen Spiegel, in dem man die gegenüberliegende, tapezierte Wand sieht?
 Durch mehrfaches Überarbeiten und Korrigieren ergibt sich eine reliefartige Oberfläche, in der pastose neben dünn lasierend aufgetragenen Partien stehen. Auch einzelne Farbspritzer betonen das Prozesshafte, das im Resultat erkennbar stehenbleibt. 
In den seit 2010 entstandenen Bildern lösen sich einzelne Elemente wieder stärker aus der flächigen Verklammerung heraus. Bei „In the Air tonight“ schweben längliche, abgerundete Stäbe oder große Pillen vor dem halb geöffneten Laden eines schwarzen Fensters. In anderen Bildern wird die Bildfläche beziehungsweise der Bildraum immer reduzierter. Einzelne Elemente schweben vor dünn aufgetragenem, fast monochromem Grund, wie eine dunkelgraue Fenstermarkise auf blaugrauer Fläche („Feeding“, 2011) oder ein rundes, an einen Lampenschirm erinnerndes Objekt auf grünem Grund könnte auch eine Art Satellit sein, der im Weltraum umher kreist (Ohne Titel, 2012). Doch das Objekt wirft einen Schatten auf den Hintergrund. Das Weltall könnte also auch nur eine grüne Wand sein.
Ein anderes Bild von 2012 ist wieder stärker gegenständig gefüllt. Es handelt sich um eindeutig identifizierbare Dinge, nämlich um Türme aus Lautsprecherboxen, die sich zu rechteckigen Flächenformen verbinden. Hier gibt es auch eine Referenz zur Musik, die auch in Hellmichs eigener Äußerung anklingt, dass seine Kunst „ein Schnitt durch ein visuelles Rauschen unserer Zeit“ ist. 
Als visuelles Rauschen lässt sich die täglich auf uns einströmende Bilderwelt begreifen, und jede Auswahl daraus ist eine Art Zusammenschnitt aus ihr. Hellmich hat ein großes Bildarchiv angelegt, mit eigenen Fotos, Abbildungen aus Discounter-Prospekten, diversen jpgs aus dem Internet oder kunsthistorischen Quellen aus den unterschiedlichsten Epochen. Dieses Archiv stellt gleichsam das Skizzen- oder Vorlagenbuch für seine Gemälde dar, wobei die Auswahl der Motive keiner Systematik gehorcht, sondern eher intuitiv erfolgt.
 So beruht Christian Hellmichs Malerei auch auf den medialen Verbreitungsmöglichkeiten unserer Zeit, ohne diese explizit zu thematisieren. Es ist eher das malerische Vorgehen selbst, in dem sich ein Umgang mit Bildern ausdrückt, der von Rückbezüglichkeit, ständiger Abrufbarkeit, Löschbarkeit und Veränderbarkeit geprägt ist.

Es ist Malerei im digitalen Zeitalter, die sich aber weniger von einer „digitalen Ästhetik“ inspirieren lässt als von einem Lebensgefühl, das von der Virtualität digitaler Bildwelten mitbestimmt ist. So durchdringen sich immer wieder verschiedene Raumvorstellungen, ohne sich in der Totalität einer einheitlichen Perspektive zu verbinden. Und ebenso wird das Dargestellte stets von der Reflexion der künstlerischen Mittel durchdrungen, so wie bei dem Dichter Christian Morgenstern, der vor rund einhundert Jahren einen Lattenzaun – vielleicht einen Bauzaun? – aus den Buchstabenlettern einer Schreibmaschine baute.